Werbeunterbrechung für den Weltfrauentag

Heute vielleicht schon drüber gestolpert? “Hey, 20% Rabatt auf Mini-Pralinen!”, “Schönheitsprodukte jetzt im Vorteilspack” und viele weitere schöne Möglichkeiten, um unsere Weiblichkeit zu feiern – hä? Wie scheiße unwürdig kann der Weltfrauentag eigentlich ausgeschlachtet werden, fragen wir uns?

Was als Initiative sozialistischer Organisationen im Kampf um Gleichberechtigung, das Wahlrecht für Frauen und im Sinne der Emanzipation von Arbeiterinnen entstand, wurde zu einer Melange aus Muttertag und Valentinstag – ebenso kommerzialisiert und dadurch mehr oder weniger bedeutungslos. Viel schlimmer noch: er bewirkt Gegenteiliges. So wird aus einem Kampftag ein symbolischer Ehrentag, der einer hüllenlosen Schmeichelei gleicht und den Kampf um reale Gleichberechtigung müde belächelt. Dadurch wird sich gerade an diesem Tag an Klischees bedient, die Frauen erneut in eine Schublade stecken in die wir nie gehörten. 

Uns macht das nicht nur traurig, sondern auch wütend. Gendermarketing ist uns, wie die meisten wissen, sowieso schon ein Dorn im Auge. Umso mehr blicken wir mit Sorgenfalten auf die Anzeigen, die uns heute in bunt-rosa entgegen strahlen. Der Frauenkampftag ist kein Werbegag, er ist eigentlich auch kein Grund zum Feiern. Dessen waren wir uns schon immer bewusst und sind es uns nach einem Jahr Corona sicher nochmal umso mehr. Denn gerade das letzte Jahr zeigte ja, wie leicht es doch ist als Frau in die Verantwortlichkeit der Care-Arbeit zu rutschen.

Der heutige Tag existiert also, weil Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern noch lange nicht erreicht ist. Der Weltfrauentag (wie er von der breiten Öffentlichkeit bevorzugt genannt wird, klingt wohl friedlicher) ist eine Erinnerung daran, was alles schiefläuft und das ist leider ein Fass ohne Boden.

Wir nutzen heute also die Absurdität der Ausschlachtung und wollen eben darauf hinweisen – wie viel eigentlich noch zu tun ist. Denn auch heute, 110 Jahre nach dem ersten Frauenkampftag liegt der Frauenanteil in den Vorständen deutscher Unternehmen bei gerade mal 14%. Das erinnert mich an eine Aktion zum Weltfrauentag 2019 von der Rewe Group. Hier gab es vier Extra-Seiten Knallerangebote wie Blumensträuße zum Aktionspreis oder eben 20% Rabatt auf Mini-Pralinen. Das alles unter der Überschrift "Schön, dass es euch gibt". Awww, Danke Rewe! Ja, wem danken wir denn da eigentlich? Stimmt, einem zu 100% männlichen Vorstand. Öh, achso!

Aber die Laune könnte noch deutlich schlechter werden.

Trigger-Warnung: Sexualisierte Gewalt. Circa 35% aller Frauen in Europa haben seit dem 15. (!) Lebensjahr körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erlebt. Man mag von einer deutliche höheren Dunkelziffer ausgehen können, wenn wir Erfahrungsberichte links und rechts betrachten, insbesondere wenn man sexuelle Übergriffe und Belästigungen des Alltags mit einbezieht.
“Was würdest du tun, wenn es 24 Stunden keine Männer gäbe?” – eine Frage, die in sozialen Netzwerken vor einigen Monaten ein bedrückendes Meinungsbild zeigte. Denn der Tenor war schlichtweg: Einfach mal unbekümmert im Dunkeln im Park laufen.

Davon aber nicht genug. Dass der Körper einer Frau als ihr Eigentum erkämpft werden muss, zeigt auch die Tatsache, dass 46% der weltweit durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche unter fragwürdigen und gesundheitsgefährdenden Bedingungen aufgrund mangelnden Zugangs und Aufklärung durchgeführt werden mussten.

Probleme, Missstände, Ungerechtigkeit, wo man hinsieht und das betrifft in der Tat 49% der Weltbevölkerung. Side Fact: Warum “nur” 49%? Weil Frau sein in so vielen Ländern (gerade in Ländern mit hoher Bevölkerungsdichte) so eine schlechte Aussicht ist, dass Schwangerschaften, bei denen das weibliche Geschlecht des Fetuses bekannt ist, deutlich häufiger abgebrochen werden. Die Laune zum Feiern kann einem also deutlich vergehen, wird man sich bei all dem nochmal bewusst.

Daher sollte der Tag heute in unseren Augen eher einer Bestandsaufnahme dienen. Es ist ein Tag, um aufmerksam zu machen – darauf, dass Frauen weltweit auf vielfältige Weise benachteiligt werden. Aufmerksamkeit dafür kann in allen Farben und Tönen der Welt geschaffen werden, gerne auch an den anderen 364 Tagen im Jahr – Hauptsache es erreicht auch die hintersten Reihen unserer Gesellschaft.

Vielleicht hat dieser Tag dennoch bei all den negativen Zeilen auch etwas ganz Positives: Wir werden uns mal wieder bewusst, wie viel in den letzten 110 Jahren erreicht wurde und wie viel wir eigentlich schaffen könnten, müssten wir nicht immer gegen den Wind laufen. An diesem Tag und an jedem anderen. Der Kampf lohnt sich also mehr denn je – für Frauen, für Männer, für Menschen, für Kinder. Gemeinsam. Aber bitte nicht in Form von Pralinen!

1 Kommentar

Danke für diese Zeilen.
Luise 08 März, 2021

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