Marktplatzhirsche

Mit den großen Online-Marktplätzen wie Zalando, Amazon und Co. ist es ja so eine Sache. Für viele Marken sind sie zu recht ein probates Sprungbrett in den großen E-Commerce-Pool. Schließlich verspricht bereits eine semi-gute Platzierung bei den Platzhirschen der Branche nicht nur größere Reichweite und Zielgruppen, sondern selbst nach Abzug von Grundgebühren und Provisionen einen signifikanten Umsatz-Boost. Doch ganz so einfach ist die Entscheidung, ob und auf welchen Marktplätzen man seinen virtuellen Stand aufschlägt, natürlich nicht. Zumindest nicht für uns, und vermutlich auch nicht für viele andere Marken mit hohen ethischen Maßstäben. Denn gelten diese Maßstäbe bei vielen konventionellen Marktplätzen nicht oder nur unzureichend oder werden halbherzig grün gewaschen. Und so findet man sich als nachhaltige Marke schnell in einem Dilemma zwischen dem Wunsch nach wachsendem Impact auf der einen Seite und dem Verlust von Rückgrat und Glaubwürdigkeit auf der anderen.

Bislang haben wir es uns recht einfach gemacht und online extern neben ein paar Einzelverkäufen auf eBay nur im Avocadostore unser Sortiment gelistet. Beim größten deutschen Online-Marktplatz für nachhaltige Ware kann man aus moralischer und unternehmerischer Sicht natürlich oberflächlich betrachtet nicht viel falsch machen. Avocado leistet zumindest im Vergleich zu den konventionellen Mitstreitern schon ganz gute Arbeit und spricht entsprechend Menschen an, denen nachhaltiger Konsum per se am Herzen liegt. Nur wollen wir aber nicht nur offene Türen eintreten. Wir wollen auch außerhalb der Blase die Sichtbarkeit erhöhen und damit nicht zuletzt auch unsere Werte vermitteln – vor allem an jene, die bislang kaum oder nur vereinzelt Berührungspunkte damit hatten. Ein kleines Trojanisches Pony sozusagen – denn wir kommen mit Style und fairen Preisen und bleiben dann (hoffentlich) mit etwas mehr Bewusstsein für ökologische und gesellschaftliche Belange.

Long Story short: Wir wollen auch im konventionellen Markt bekannter werden. Dafür eignen sich Marktplätze recht gut – aber eben auch nicht jeder. Denn wenn es keine oder nur wenige Schnittstellen beim Werteverständnis gibt, ist das ein Problem für uns. Und so sind wir nun auch nicht beim großen A oder Z der Branche gelandet – sondern bei Otto.

Otto ist groß. Sehr groß sogar. Der Onlineshop otto.de ist nach Amazon.de der größte B2C-Shop im Mode- und Living-Segment in Deutschland – noch weit vor Zalando.de. Otto ist dabei nur eines von 123 Unternehmen, die zur Otto Group gehören. Rund 50.000 Mitarbeiter:innen zählt der Konzern weltweit. Dabei ist er nach wie vor in Familienhand unter Aufsicht von Michael Otto, Sohn des Gründers Werner Otto.

In puncto Unternehmensverantwortung macht Otto vergleichsweise vieles richtig – wenn auch sicherlich nicht alles. Doch während die meisten dicken Fische im konventionellen E-Commerce-Pool das Thema Nachhaltigkeit zwar oft und gern auf ihre Fahnen schreiben, beim genaueren Hinsehen aber häufig klein mit Hut sind, beackert Otto dieses Feld schon länger. Bereits in den 80ern hat Michael Otto Umwelt- und Sozialstandards innerhalb der Otto Gruppe eingeführt. Lange bevor Nachhaltigkeit zum PR-Buzzword wurde, wurden bereits Produktionsketten überarbeitet, Audits durchgeführt, Stiftungen gegründet und Bildungsprojekte in den Produktionsländern umgesetzt. Für Ottos Eigen- und Lizenzmarken werden nachhaltige Rohstoffe und soziale Arbeitsbedingungen sichergestellt. Mit Klimaschutz-Projekten und Stiftungen will Otto bis 2030 komplett klimaneutral werden. Das Onlineshopping an sich soll dabei möglichst ressourcenschonend laufen – mit einem vergleichsweise hohen Anspruch an nachhaltige Artikel und Siegel, innovativer Verpackungslösungen wie RePack oder Wildplastic, klimafreundlichen Lieferungen und neuen Rücknahme- und Recycling-Konzepten.

Dabei ist natürlich nicht alles Gold was glänzt. Gerade Ottos Haus- und Hof-Versender Hermes, der ebenfalls zur Otto Group gehört, hat in der Vergangenheit mit Subunternehmer-Skandalen und vergleichsweise mauen Klimabilanzen einen unschönen Fleck auf der recht weißen Otto-Weste hinterlassen. Auch ist der Fokus auf Nachhaltigkeit längst nicht bei allen Plattformen der Otto Group so ausgeprägt wie auf otto.de. Und damit wird das eigentliche Problem schnell deutlich: Dass der Begriff Nachhaltigkeit nicht geschützt ist und jeder Laden seine ganz eigenen Maßstäbe in diesen Begriff rein interpretieren kann, macht einen Marktplatz immer nur so gut wie der Wille des Unternehmens, das dahinter steckt.

Otto zeigt immerhin guten Willen und ist in unseren Augen ein guter Einstiegspartner in den konventionellen Markt. Ob und welche weiteren Marktplätze folgen werden, wird sich zeigen. Das Dilemma zwischen Impact und Rückgratverlust wird dabei bleiben. Und damit sind wir am Ende immer wieder auf die Gretchenfrage der nachhaltigen Branche zurückgeworfen: Ist es richtig, in einem kapitalistischen System mitzuspielen, das wir als fragwürdig erachten, nur um mehr Menschen mit unseren Botschaften zu erreichen? Die Antwort suchen wir noch. Und so betreten wir nun vorsichtig neues Terrain, werden Erfahrungen machen, nachjustieren oder auch umlenken. Who knows. Impact zu entwickeln bedeutet auch Entscheidungen zu treffen, die nicht immer kompromisslos sind. Stillstand ist nun mal bekanntlich der Tod.

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