Was Mädchen träumen dürfen

Krieg. Elend. Der Verlust des Zuhauses, die Angst vor der Zukunft und Flucht ist für viele in Deutschland etwas Surreales. Aber nicht für alle. Parastas Familie kommt aus Herat in Afghanistan und ist vor zwei Jahrzehnten nach Deutschland geflüchtet. In Zusammenarbeit mit Parasta ist dieser Beitrag entstanden.

Liken, Teilen und nochmal von vorn. Statt 20:00 Tagesschau, jetzt 24/7 Infos auf Social Media. Politisch partizipieren auf Knopfdruck. Fast wie aus dem Nichts kamen die letzten Wochen Instagram Stories zum Thema, dass die Taliban wieder in Afghanistan sind. Wie Dominosteine fiel eine Stadt nach der anderen an die Taliban.

Die meisten Stories, die bei mir angezeigt werden, sind von meiner früheren Mitschülerin Parasta.

Ich frage sie, wie es dazu kommt, dass sie von einem auf den anderen Tag anfängt politisch laut zu werden für Menschen auf der Flucht. “Was ist dein Ziel?”

Sie denkt nach.

Ein kleiner Moment Stille und es folgt ein Wort-Wasserfall.

Als das letzte Mal die Taliban durch das Land zogen, musste Parastas Onkel und seine Familie nach Deutschland flüchten. Parastas Onkel hatte eine Meinung und kommt aus einer freier denkenden Familie.

Das letzte Mal als die Taliban an der Macht waren, war ihre Mutter noch Studentin.

Nach acht Semestern Medizin plötzlich Stillstand.

Die Freundinnen ihrer Mutter heirateten, um den Schutz eines Mannes zu haben.

Ihre Mutter heiratete Parastas Vater und ging nach Deutschland.

Sie haben sich gemeinsam hier etwas aufgebaut. Sie haben eine Chance ein Leben ohne Angst führen zu können. Ihre Mutter hat jetzt einen Pflegedienst, aber Ärztin ist sie nicht geworden. Ich spüre Parastas Wut. Parasta studiert jetzt Medizin.

”Und genau das machen jetzt auch alle anderen Mädchen in Afghanistan durch. Was meinst du wie viele Träume jetzt zerplatzen? Und das was am traurigsten ist, dass die Menschen in den vergangenen 20 Jahren gekämpft haben – gerade die Jugend.”


Eine Kämpferin ist beispielsweise Parastas Cousine.

Sie ist Lehrerin und sie hat ein Kind. Sie ist aber auch alleinstehend, da sie ihren Mann verließ. Die Trennung war eine Reaktion auf sein Sympathisieren mit den Taliban. Sie nahm ihm seinen Sohn weg. Sie hat jetzt Todesangst.

Wenn man Parasta fragt, dann ist die Jugend Afghanistans offener und die Mädchen rebellischer denn je.

In Deutschland wollen die meisten BWL oder Medizin studieren. Auch wenn Bildung mit Wohlstand in Afghanistan einhergeht, wollen viele Mädchen “politics and law” studieren, um Moderatorin zu werden. Damit riskieren sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden mit ihrem Namen und ihrem Gesicht, das dann jeder kennt.

“Man will artige Mädchen.” Nicht singend, nicht laut und am besten unpolitisch.

Einen Namen, der kaputt ist und auch kein Geld – wer will das schon? Frauen, die endlich reden wollen! Die gesellschaftliche Veränderung ließe sich nicht mehr aufhalten, hofft Parasta.

Sie betet für die Zukunft der jungen Menschen.

Der Fernseher trennt uns von Menschen, die genauso gut wir hätten sein können.

Junge Menschen, die Angst vor der Zukunft haben. Mädchen, die vielleicht jetzt nicht mehr träumen dürfen und nun in einer Notlage sind. Die Idee der Gleichberechtigung und der Freiheit rücken langsam in den Hintergrund. Im Vordergrund steht die bloße Angst vor dem Tod.

Und auf einmal ist es still. Meine Frage aber noch nicht ganz beantwortet. “Warum sind dir die Stories so wichtig?”

Kurz und knapp: Sie möchte die Seite zeigen, die wir vergessen. Eine deutsch-afghanische Perspektive, welche unsere Filter Bubbles durchbrechen soll.

Kaum unabhängige Journalisten können noch aus Afghanistan berichten. In Afghanistan bedeutet Reden Angst vor Verfolgung.

Parasta möchte, dass wir für Menschen aufstehen, die keine Stimme haben.

Wir sollen laut sein, um das Leben von anderen zu retten.

Wir haben die Wahl. Wir müssen keine Angst haben. Wir sollten unser Privileg nutzen und teilen.

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