There Will Be Blood

Es gibt so ziemlich viele Mythen rund um die Periode, dabei ist es eigentlich ganz simpel: Frauen bluten aus ihrer Vagina.

Das tun sie seit Menschen gedenken im Schnitt alle 28 Tage rund fünf Tage lang. Bis zu 80 Milliliter Blut verliert sie in einem Zyklus, etwa so viel wie ein Flakon Parfüm. Zusammengerechnet blutet sie rund sieben Jahre am Stück und verliert dabei im Durchschnitt etwa 30 Liter Blut. Rund 450 Mal im Leben einer Frau steht das Blut für das Ende eines Zykluses, in dem ihr Körper sich darauf vorbereitet hat, neues Leben zu schenken.

Klingt beinahe heldenhaft, muss es aber gar nicht sein. Es ist schließlich eine Körperfunktion, mit der die Hälfte der Bevölkerung rund 38 Jahre lebt. Manche gern, manche weniger. Eins ist das Bluten aber definitiv: ziemlich normal. Alles andere als normal ist allerdings der Umgang damit. Um keine andere menschliche Ausscheidung ranken mehr Missverständnisse – um wenige Körperfunktion wird mehr Gewese gemacht als um die Periode.

In den meisten Teilen der Welt ist die Periode traditionell negativ behaftet. Etwas, was versteckt werden und wofür Frau sich schämen muss. Weil oft zu wenig über sie bekannt ist und aus Unwissenheit gepaart mit Vorurteilen teils absurde, teils existenzgefährdende Irrglauben entstanden sind. Vor allem in Entwicklungsländern sind die Folgen verheerend: Mädchen, die bis zum Einsetzen ihrer Periode nicht von deren Existenz wissen. Die sich so sehr schämen, dass sie, wenn sie menstruieren, nicht zur Schule gehen. Die in vielen Fällen die Schule gar abbrechen müssen, weil sie zu viele Fehlzeiten aufgrund ihrer Periode haben. Die keine Ausbildung und kein eigenes Geld haben und so schon im Teenageralter in die Abhängigkeit von Männern getrieben werden. Frauen und Mädchen, die keinen Zugang zu und/oder kein Geld für Hygieneprodukten haben und sich mit Notlösungen wie alten Tüchern, Socken, Blättern oder Sand behelfen – Infektionen bis hin zur Unfruchtbarkeit nicht selten inklusive.

Das klingt in unseren westlichen Ohren extrem. Jedoch abseits des Einflusses engagierter Großstadt-Startups, die jüngst die fachgerechte Anwendung von Menstruationscups an einer echten Scheide auf Pornhub bestaunen ließen, bekleckern wir uns auch hierzulande im Jahr 2020 in unserer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft immer noch nicht mit Ruhm was Aufklärung, Bildung und Enttabuisierung betrifft. Noch immer schämen sich Mädchen und Frauen in Deutschland, wenn sie nach einem Tampon fragen müssen. Noch immer glauben viele Frauen, nicht schwanger werden zu können, wenn sie ihre Periode haben. Noch immer fragen erwachsene Männer, ob Frauen überhaupt pinkeln können, wenn ein Tampon in ihnen steckt (for real).

Auch auf struktureller Ebene sind Frauen auf sich gestellt diesbezüglich: Noch immer gibt es selbst im reichen Deutschland Frauen aus einkommensschwachen Schichten, die sich nicht ausreichend Hygieneprodukte leisten können. Weil der Hartz 4 Anteil für die sogenannte Gesundheitspflege derzeit 16,42 Euro monatlich beträgt – nur müssen damit neben Periodenprodukten auch Medikamente, Pflaster, Hygieneprodukte für den täglichen Gebrauch und Co. gekauft werden. Das reicht selten aus, nicht zuletzt, weil noch bis Ende 2019 die sogenannte Luxussteuer von 19 % auf sämtliche Periodenprodukte erhoben wurde. Tampons, Menstruationstassen, Binden etc. waren bis dato höher besteuert als Trüffel oder Schnittblumen. Nach heftigen Protesten und Petitionen gab es schließlich ein politisches Einsehen. Seit dem 1.1.2020 gilt der reduzierte Steuersatz von sieben Prozent. Ein Anfang, immerhin.

Auch wenn die hiesigen Probleme mit dem weiblichen Blut verglichen mit den existenziellen Folgen in Entwicklungsländern banal klingen, sind sie das natürlich mitnichten. Denn das Grundproblem ist dasselbe: Mangelnde Aufklärung und fehlende Bildung aufgrund einer völlig irrationalen Tabuisierung. Selbst wir Kinder der 80er sind noch in einer Zeit aufgewachsen, in der Menstruationsblut in Werbespots als hellblaue, klare Flüssigkeit dargestellt wurde. Bis heute proklamieren Periodenprodukte „sauber, sicher und diskret“ zu sein – das hübsche Pendant zu etwas Dreckigem, das versteckt werden muss. Kichernde Teenager flüchten damals wie heute in ein El Dorado der wildesten Metaphern. Da ist dann Tante Rosa zu Besuch aus Unterleibzig, das Baumwollschaf wird geritten oder der rote Ferrari parkt in der Tiefgarage. Was an sich nicht weiter tragisch wäre, würden diese blumigen Umschreibungen nicht auch noch nach Beendigung des 16. Lebensjahres gebraucht werden.

Period-Shaming is real. Schaut man sich allein unsere westliche Kulturgeschichte der Menstruation an, wird schnell klar, warum. Nur weiß man nicht so genau, ob man lachen oder weinen soll. So sind es seit der Antike fast ausschließlich Männer, die das “Phänomen” Periode begutachten und mit ihren Maßstäben bewerten - fast immer als etwas Schlechtes, Limitierendes oder Irrelevantes. So war Aristoteles der Überzeugung, die Frau sei nur ein unfertiger Mann, die zu viel Körperflüssigkeit in sich trägt und es ausscheiden muss, während der Mann diese kocht und zu wertvollem Sperma produziert. Viele Gelehrte des Mittelalters sahen in der Menstruation die Folge eines Sündenfalls. Rousseau sah im 18. Jahrhundert in der Menstruation die Folge einer verderblichen Auswirkung der Zivilisation auf die Frau, welche durch zu viel Essen, zu wenig Bewegung und eine durch die gesellschaftliche Normen eingeschränkte Sexualität hervorgerufen würde. Mit der Verbreitung der Evolutionstheorie im 19. Jahrhundert rückte der weiße Mann an die oberste Stelle der menschlichen Hierarchie. Die “Andersartigkeit” der Frau wurde mit Invalidität gleichgesetzt. Die Menstruation wurde zu einem Leidenszustand degradiert. Der Wiener Arzt Béla Schick stellte noch Anfang des 20. Jahrhunderts die Theorie auf, dass Menstruationsblut das Gift Menotoxin enthalte, welches im Blut und Schweiß menstruierender Frauen zu finden sei und Blumen und Lebensmittel in ihrer Nähe verderben lasse. Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen konnten in den folgenden Jahrzehnten nicht das Gegenteil beweisen. Erst 1958 wurde offiziell die Ungiftigkeit von Menstruationsblut anerkannt. Noch Fragen?

Das Patriarchat der letzten Jahrhunderte hat also ganze Arbeit geleistet. Überwiegend Männer haben die Kulturgeschichte der Menstruation geprägt und sie ihrem Sinne erklärt und mystifiziert. Gaben die weiblichen Geschlechtsorgane schon allein aufgrund ihrer anatomischen Verborgenheit lange Zeit Rätsel auf, so trägt der Mann sein Geschlechtsteil seit jeher anatomisch wie mental nach Außen, je größer desto stolzer. Sein Samen ist der Inbegriff männlicher Potenz, seine Superkraft, auf die er stolz ist. Zu recht. Denn auch er trägt zu nichts weniger bei als dem Fortbestehen der Menschheit. Würden Männer menstruieren, würden sie also vermutlich sagen: “Diggi, ich hab die längste und heftigste Periode – guck mal wie voll meine Tasse ist!” Vielleicht ist es so einfach.

Die Periode hingegen kann gesehen werden als weibliche Potenz – die Superkraft der Frau. Dies gilt es mehr denn je laut auszusprechen. Es braucht noch viel mehr Aufklärung, Diskurse und Kampagnen wie die der Startups, um die Verklemmung in den Köpfen zu lösen und das patriarchalische Bullshit-Bingo der letzten Jahrhunderte abzuschütteln. Es braucht noch viel mehr Frauen, die stolz sind auf ihre blutenden Körper und dies laut kundtun. Es braucht noch viel mehr Männer, die die weibliche Superkraft im ersten Schritt verstehen und im zweiten als solche feiern. So wie die Frau seine - denn nur zusammen sind beide Superkräfte von Nutzen. Und es braucht Eltern, die Kindern von klein auf gar nicht erst auf den Gedanken kommen lassen, dass es sich hier um etwas Unangenehmes handeln könnte. Eltern, die die Gleichstellung zwischen Mann und Frau vorleben und Körperfunktionen jeglicher Art als das erklären, was sie sind: normal. Dann haben wir in ein paar Jahren vielleicht ein gesellschaftliches Problem weniger.

2 Kommentare

Danke für diesen tollen Artikel!!
Steffi 11 Juli, 2020
Ich musste sehr über Aristoteles lachen!

Sehr guter und schön geschriebener Artikel, denn so ist es und nicht anders! Meinen zwei Söhnen und meiner Tochter möchte ich, bzw WIR nichts anderes vermitteln – es ist gut wie es alles ist und gehört zum gesunden Leben dazu. No shame at all!
Chapeau auf the blood ❤️

Gwendolin 10 Juli, 2020

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